Am 7. Oktober 2015 um 16:30 Uhr tagt der Kulturausschuss der Stadt Halle. Unter TOP 5.1 wird die Umbenennung der Emil-Abderhalden-Straße erörtert. Anbei ist der Aufruf der Jüdischen Gemeinde Halle an die Mitglieder des Ausschusses vom 23.08.2015. Bis heute (den 02.10.2015) gibt es keine Reaktion seitens der Stadt…
Straßennamen erfüllen im öffentlichen Raum weitaus mehr Funktionen als die bloße Erleichterung der räumlichen Orientierung. Indem sie die Erinnerung an Personen, Orte und Ereignisse wachhalten, wirken als Speicher des kollektiven Gedächtnisses hin.
Die Maßstäbe und Kriterien, gemäß denen bestimmte Personen als Namensgeber für Straßen in Frage kommen oder nicht, können sich verändern. Eine Stadt sollte aufgeschlossen sein, ihre gängige Gedenkpraxis und Erinnerungskultur zu überdenken, wenn hierfür gute Gründe vorliegen. Dazu zählen die Neubewertung historischer Persönlichkeiten und die Umbenennung von Straßen aufgrund der neuen Erkenntnisse über deren Namensgeber.
Bei der Entscheidung über das Für und Wider einer Umbenennung sollte nicht, wie so oft, die einseitige Sorge um den Ruf des betroffenen Namensgebers ausschlaggebend sein.
Die Jüdische Gemeinde zu Halle (Saale) regt aus diesem Anlass die Entwicklung eines allgemeinen Konzeptes für den Umgang mit Straßennamen an. Die Ehre der Namensgebung sollte, unabhängig von möglichen Verdiensten oder eines regionalen Bezuges, ausschließlich Person zuteil werden, die sich durch ihren Einsatz für die Wahrung der Menschenrechte auszeichnen. Im Fall der nach Emil Abderhalden benannten Straße fordern wir die Stadt auf, das Umbenennungsverfahren zu unterstützen. Wir sind davon überzeugt, dass eine solche Umbenennung dem Selbstverständnis von Willkommenskultur einer weltoffenen Stadt entspricht.
Es steht uns nicht zu über das Lebenswerk Abderhaldens zu richten. Abderhalden hatte sich zwar nicht persönlich an den Gräueltaten des NS-Regimes beteiligt, allerdings blieb er im Deutsche Reich, arrangierte sich, schwieg und schaute weg. Als international renommierter Wissenschaftler und Staatsbürger der Schweiz hätte für Ihn ohne große Schwierigkeit die Möglichkeit bestanden, seine Forschungen in einem anderen Land fortzusetzen.
Zudem finden sich zwischen den gesellschaftlichen Vorstellungen Abderhaldens und der NS-Ideologie zahlreiche Parallelen. So unterstützte er beispielsweise das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und stellte das Wohl des deutschen Volkes und über das Wohl des Einzelnen. In diesen Punkten steht er vor einem anderen Richter und wird – genau so wie wir alle irgendwann – vor ihm Rechenschaft ablegen müssen. Fest steht für uns jedoch, dass eine Ehrung von Abderhalden dem heutigen ethisch-moralischen Konsens der Bundesrepublik nicht angemessen ist.