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Grußwort von Max Privorozki an der Verleihung des Emil-L.-Fackenheim-Preises am 02.11.2014

Liebe Gäste, liebe Gemeindemitglieder, vor allem – liebe Preisträger – Kinder und Jugendliche aus Harzgerode und Dessau-Roßlau, ich möchte ganz herzlich euch allen heute bei der 5. Verleihung des Emil-Ludwig-Fackenheim-Preises in der halleschen Synagoge willkommen heißen.

Fast genau vor 11 Jahren, am 9. November 2003 hat unsere Gemeinde zum ersten Mal den Emil-L.-Fackeneim-Preis für Toleranz und Verständigung verliehen. Mit diesem Preis wollten wir Einzelpersonen oder Organisationen auszeichnen, die mit Ihrer Tätigkeit zur Verständigung zwischen jüdischen und nichtjüdischen Mitbürgern in unserer Region beigetragen haben. Der wahrscheinlich berühmteste jüdische Hallenser, Philosoph, Rabbiner und Professor, Dr. Emil-L.-Fackenheim, hat in seinen Werken die Existenz des Judentums als 614. Gebot und als Widerspruch gegen das Vernichtungsprogramm des Holocausts formuliert. Diese Existenz – zumindest hier in der Diaspora – kann nur dann gewährleistet werden, wenn die Beziehungen zwischen Juden und Nichtjuden eine tolerante und friedliche Grundlage haben. Diese Grundlage ist nicht selbstverständlich und kann nur mit einer harten Arbeit erreicht werden. Genau diese harte Arbeit sollte nach unserer Vorstellung mit dem Fackenheim-Preis gewürdigt werden.

Am Anfang betrachteten wir die Haupthindernisse für die jüdische Gemeinschaft das Ultra-Rechte und das kommunistische Gedankengut. Demgemäß wurden die ersten drei Preise verliehen.

Im Jahre 2003 erhielt Dr. Gerhard Begrich, der ehem. Pfarrer der Marktkirche in Halle in den besonders schwierigen Jahren der DDR-Diktatur, den 1. Preis. Er hat in den Jahren der vollständigen Abhängigkeit unserer Gemeinde von Stasi und kommunistischen Machthaber der kleinen Minderheit der jüdischen Hallenser Obhut ermöglicht.

Im Jahre 2004 wurde der Landesverband des antifaschistischen Widerstands und Verfolgten des Naziregimes auszeichnet. Diese Vereinigung hat immer munter jegliche neo-nazistische Ausfälle in der Gesellschaft angeprangert und bei dem Ausrutschen von Politikern wach geblieben.

Die nächste Preisträgerin im Jahre 2007 war Frau Gudrun Goeseke, die wiederum zu Zeiten der DDR-Diktatur das Gemeindearchiv von Vernichtung rettete und auch mit ihrer späteren Arbeit dazu beigetragen, dass die Hoffnung, dass die Jüdische Gemeinde zu Halle, die sich zur Endzeit der DDR bereits in der Agonie befand, dank der Zuwanderung von Juden aus der ehemaligen SU wieder wächst und gedeiht und sich zu einer blühenden Gemeinde entwickelt, wie sie hier vor der Nazizeit einst existierte.

Mit Erfahrung kommen neue Erkenntnisse. Wir sind mehr und mehr auf die Tatsache aufmerksam geworden, dass die Öffentlichkeit mit den Wörtern „Judentum“ und „Juden“ nur zwei Themen in Verbindung bringt: der Holocaust und der Nahostkonflikt. Die ganz normalen Menschen – und ich rede hier auf keinen Fall über den notorischen Antisemiten – haben überhaupt keine Ahnung über den Juden und der jüdischen Gemeinschaft außer diesen zwei Aspekten. Die Gegebenheit, dass die Geschichte Europas, Deutschlands und fast jedes einzelnen Ortes auch die Geschichte der jüdischen Gemeinschaft mit enthält, ist kaum bekannt. Und was kann besser für die Toleranz und Verständigung beitragen als das Erlernen dieser Geschichte?

Als wichtige Maßnahme für dieses Erlernen hat unsere Gemeinde regelmäßige Synagogen-Führungen für Schulklassen eingeführt. Nur im vergangenen Jahr gab es 70 solche Führungen. Ich möchte gern die Gelegenheit nutzen und die Initiative des Landesverbands Jüdischer Gemeinden bekannt machen: nicht nur Kinder und Jugendliche aus der Stadt Halle und Umgebung sondern auch Schulen und Gymnasien aus dem gesamten Bundesland Sachsen-Anhalt sollten Gelegenheit bekommen, eine Synagoge bzw. einen jüdischen Gebetsraum zu besuchen und an einer fachlichen Führung teilzunehmen. Dafür gibt es in unserem Bundesland Museumeinrichtungen in Halberstadt, Dessau und Gröbzig sowie jüdischen Gemeinden in Magdeburg, Dessau und Halle. Alle diese Organisationen könnten mit logistischer Unterstützung des Kultusministeriums im Rahmen eines Netzwerks den gesamten Bedarf landesweit abdecken.

Außerdem haben wir die Arbeit von vielen Enthusiasten, wie Aaron Guttstein aus Zeitz, Rüdiger Seidel aus Eisleben oder Enrico Kabisch aus Weißenfells unterstützt. Diese lokalen Forscher der jüdischen Gemeinschaft und jüdischer Geschichte verdienen unseren Respekt und jeglichen Beistand.

Der 4. Preisträger des Fackenheim-Preises ist das Seminar für Jüdische Studien der Universität Halle im Jahre 2010 geworden. Diese Entscheidung wurde unter dem gerade erwähnten Aspekt getroffen: die Mitarbeiter und Studenten des Seminars machen hervorragende Arbeit in der Richtung des Erlernens und der Aufklärung des Judentums. Diese Auszeichnung des Seminars für Jüdische Studien hat sich in vielen Hinsichten gelohnt: das Preisgeld wurde dafür genutzt, den Freundeskreis des Leopold-Zunz-Zentrums e.V. in Halle zu gründen. Ich möchte ganz herzlich meine Kollegen aus dem Vorstand dieses Vereins, stellvertretend Herrn Dr. Gerold Necker, hier begrüßen. Besonders freue ich mich den früheren Direktor des Seminars für Jüdische Studien in Halle und jetzigen Leiter des Hamburger Instituts für jüdische Philosophie und Religion, Prof. Dr. Guiseppe Veltri. Der Freundeskreis des Leopold-Zunz-Zentrums hat in den letzten zwei Jahren die Hallenser Jüdischen Kulturtage – mit Unterstützung anderen Partner – organisiert. Die heutige Preisverleihung steht im Programm diesjährigen jüdischen Kulturtagen als Abschlussveranstaltung.

Das Engagement der einzelnen Historiker oder gar ganzen Gruppen wie des Seminars für Jüdische Studien oder des Simon-Rau-Zentrums ist wichtig. Noch wichtiger erschien uns das Heranziehen zu dieser Tätigkeit von Kindern und Jugendlichen. Die Repräsentantenversammlung hat daher beschlossen, den nächsten Preisträger unter den Jugendprojekten, die sich mit der örtlichen jüdischen Geschichte auseinandersetzten, auszuwählen. Mit Unterstützung des Kultusministeriums haben wir diese Information allen Schulen, Berufsschulen und Gymnasien landesweit bekannt gemacht. Als Ergebnis haben wir heute zwei Träger des zum 5. Mal verliehenen Emil-L.-Fackenheim-Preises der Jüdischen Gemeinde Halle für Toleranz und Verständigung: das Projekt des Gymnasiums Philanthropinum Dessau „Gedenkstätte in Wörlitz am Jüdischen Friedhof“ und das Projekt der Sekundarschule Harzgerode „Verwandlung der Gedenkstätte des Jüdischen Friedhofs in Harzgerode“.

Hier wollte ich gern meine Begrüßung abschließen. Die Ereignisse der letzten Woche zwingen mich jedoch einen weiteren wichtigen Aspekt dieser Preisverleihung zu nennen: erst in Harzgerode und dann in Landsberg fanden zwei schockierende antisemitische Fälle statt. Gerade auf dem Harzgeroder jüdischen Friedhof wurde auf dem von hier anwesenden Schülern instandgesetzten Mahnmal ein Hakenkreuz gemalt. Und im Landsberger Gymnasium wurde erhebliches rechtsextremes Potenzial in einer 9. Klasse entdeckt. Beide Fälle zeigen, dass die Bekämpfung der rechtsextremen Kräfte – insbesondere bei Jugendlichen – ihre Aktualität leider nicht verliert.   

Wir freuen uns auf die Grußwörter der Landesregierung und der Stadt Halle. Danach stellen uns die Preisträger aus Dessau und aus Harzgerode ihre Projekte vor. Ich möchte gern Frau Dr. Christine Blaschczok und Herrn Tobias Kogge das Wort übergeben.