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Stellungnahme der Jüdischen Gemeinde Halle zum Schreiben der Kunsthochschule Halle vom 24. Juli 2025

Halle (Saale), den 19.08.2025

Sehr geehrte Frau Prof. Erzgräber,

in Ihrem Brief vom 24. Juli 2025 schreiben Sie zu Beginn, dass die entstandene Situation einen offenen und respektvollen Meinungsaustausch erschwert und alle Beteiligten belastet. Gleichzeitig betonen Sie im Namen Ihrer Hochschule, dass Sie an unserer (der jüdischen Gemeinde) Seite stehen und dem Antisemitismus in jeder Form entschieden entgegentreten. 

Die Erfahrung der letzten zwei Jahre zeigt, dass wir den Begriff des Antisemitismus und das Entgegentretens ihm gegenüber sehr unterschiedlich auslegen. Insbesondere die jüdische Gemeinde unserer Stadt Halle an der Saale kann dies sehr gut spüren: Nach dem antisemitischen Anschlag auf unsere Synagoge am Jom Kippur vor fast sechs Jahren, am 9. Oktober 2019, haben wir eine überwältigende Welle der Solidarität aus fast allen Richtungen erfahren, ein Zeichen dafür, wie Sie es gut formulieren, dass die Gesellschaft „auf unserer Seite steht“. 

Vier Jahre später, am 7. Oktober 2023 – ebenfalls an einem jüdischen Feiertag, Simchat Tora – verübten gut organisierte Terroristen einen Anschlag historischen Ausmaßes auf den Süden Israels. Frauen wurden auf grausamste Weise vergewaltigt und ermordet, Kleinkinder und hochbetagte Menschen teilweise bei lebendigem Leib verbrannt. Zahlreiche Menschen wurden als Geiseln verschleppt, einige von ihnen “leben” bis heute unter den unmenschlichen Bedingungen ihrer Entführer/Peiniger.

Was verbindet diese beiden Anschläge, die sich doch so sehr unterscheiden? Der pathologische Hass auf Juden! Nein, nicht Hass gegen Israelis, sondern Hass gegen Juden! Sowohl in Halle als auch im Kibbuz Beʾeri hatten die Attentäter dasselbe Ziel: Juden auszulöschen. Und was haben wir hier in Halle, in Magdeburg oder insbesondere in Berlin, aber auch an vielen anderen Orten erlebt? Bereits am Abend des 7. Oktober in Berlin und am 8. Oktober in Halle, Magdeburg und Leipzig gab es das erste Jubeln. „Free Palestine“, Hamas-Symbolik, „From the river to the sea“-Slogans – all das erschien noch vor dem Beginn der israelischen Gegenoffensive. Die gleichen Menschen, die sich jetzt „Students for Palestine” nennen, begannen damit ihre Kampagne, die antisemitisch und nicht nur antiisraelisch ist, eigentlich fast weltweit. Diese Menschen interessieren sich kaum für den Hunger im Sudan oder das Schicksal christlicher oder jüdischer Minderheiten in asiatischen oder afrikanischen Ländern. Die Pogrome gegen Jesiden, Kurden oder Drusen sind für diese Kämpfer für Wahrheit ebenfalls irrelevant. Aber auch die arabische Bevölkerung in Gaza oder in der Westbank ist für sie irrelevant, denn sie sind einfach Judenhasser und möchten den Juden ihren einzigen Staat nehmen, der vor 90 Jahren viele jüdische Leben hätte retten können. Wenn sie den arabischen Einwohnern in Gaza und der Westbank wirklich helfen wollen, würden sie nicht gegen Israel, sondern gegen die islamistischen Terrororganisationen protestieren, die den Frieden mit allen Mitteln verhindern – nicht erst seit dem 7. Oktober 2023, sondern vom ersten Tag der Existenz dieses einzigen jüdischen Staates an. 

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In Ihrem o. g. Brief kommen Sie außerdem auf das „Kunstwerk mit der Flaggenbemalung“ und den abstrakten Bestandteil zu sprechen, der als Schweinskopf interpretiert werden könnte. Ich habe dieses Kunstwerk selbst nicht gesehen und kann nur auf die Reaktionen von einigen mir gut bekannten und vertrauensvollen Menschen zurückgreifen, die es nicht nur gesehen, sondern auch detailliert fotografiert haben. 

Selbstverständlich kann man diese Kunstwerke unterschiedlich auslegen. Teilweise auch aus diesem Grund gibt es bis heute eine rege Diskussion über die Reliefs an mehreren Kirchenfassaden, u. a. in Wittenberg, Calbe (Saale) und Magdeburg, die als „Judensau“ bezeichnet werden. Auch hier kann man mit einer gewissen Fantasie etwas Anderes sehen… Dabei kann kein unabhängiges Gremium, auch kein Ethikrat, diese andere Interpretation verbieten. Unsere Forderung nach mehr Verantwortung und Sensibilität steht nicht im Zusammenhang mit der Gründung eines Ethikrates. 

Die absolute Mehrheit der Teilnehmer an diversen antiisraelischen Aktivitäten sind Opfer eines sehr gründlich und clever organisierten Medienkrieges mit gefälschten Fakten und manipulierten Fotos. Dafür gibt es viele Beweise, die allerdings von Verbreitern dieser manipulierten Fotos oder gefälschten Fakten entweder ignoriert oder nur sehr unauffällig bestätigt werden. 

Ein Beispiel hierfür ist das berühmte Foto des fünfjährigen Osama al-Raqab auf der Titelseite der italienischen Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“. Später stellte sich heraus, dass dieses Kind an der unheilbaren Stoffwechselerkrankung Mukoviszidose leidet. Die Gegendarstellung blieb jedoch aus, auch in den deutschen öffentlich-rechtlichen Medien. 

Es wäre wünschenswert, dass die Bildungseinrichtungen, wie Ihre, Studierende über solche „hybriden“ Kriegsführungsmethoden aufklären. Dieselbe Methode verwendet auch Russland in seinem hybriden Krieg gegen die freie Welt. 

Unsere Gemeinde hat bereits eine schreckliche Erfahrung mit dem pathologischen Hass gegen die Juden. Der von Verschwörungstheorien besessene Mörder vom 9. Oktober 2019 zeigte uns, dass ein Hass gegen Juden auch 90 Jahre nach dem Holocaust zu einer furchtbaren Katastrophe führen kann. Die Quelle dieses Hasses muss jedoch nicht unbedingt in der nationalsozialistischen Ideologie liegen. Diese Quelle kann auch in den Ideologien der Hamas oder des Islamischen Staats liegen, die auch einen Beitrag zur Radikalisierung der „Students for Palestine“ leisten können. 

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Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass es uns selbstverständlich nicht nur um die lawinenartige Steigerung der antisemitischen Vorfälle geht. Die menschliche Geschichte hat immer wieder gezeigt, dass diese Steigerung des Judenhasses ein Zeichen dafür ist, dass Demokratie und Freiheit in der Gesellschaft gefährdet sind. Sowohl in Deutschland vor ca. 100 Jahren als auch im Russischen Reich und später in der Sowjetunion sowie heutzutage in Russland, also in totalitären bzw. autoritären Ländern, gab es einen stark ausgeprägten Antisemitismus. Die Studierenden an Universitäten und Hochschulen müssen nicht nur ihre Fächer, wie Kunst, Medizin oder Wissenschaft lernen, sondern auch die menschliche Geschichte.